Sonntag, 31. Juli 2011

Japan heute - das Leben nach dem Atomunglück in Fukushima


Heute habe ich mich mal wieder mit einem Freund aus und in Japan unterhalten. Seit einigen Monaten schon hält er mich darüber auf dem Laufenden, wie es den Menschen in Tokyo so geht, was sich ändert und was gleich bleibt.
Kurz nach der Atomkatastrophe, als Radioaktivität mit dem Wind nach Tokyo zu gelangen drohte, flüchtete er für einige Zeit nach Osaka. Zwar haben nicht viele Japaner Japan verlassen - ganz im Gegensatz zu den dort lebenden Ausländern, von denen sich viele fluchtartig auf den Weg zurück in die Heimat machten - dennoch strömten große Massen an Tokiotern zu den dortigen Flughäfen und suchten sich ein Ziel weiter im Süden. Doch der Alltag musste irgendwie weitergehen und so fanden sich die "Flüchtlinge" bald wieder in Tokyo ein und gingen ihrem Arbeits- und Lebensalltag in gewohnter Art nach. Der Freund, mit dem ich mich regelmäßig unterhalte, im Folgenden F., reiste damals nach Osaka zu einem Freund. Er arbeitete bei einer Werbeagentur und die hatte zu der Zeit schlagartig gar nichts mehr zu tun, daher war es für ihn kein Problem für eine ganze Weile fern zu bleiben. Während sich die Lage langsam wieder einpendelte, die Menschen wieder wie gewohnt zur Arbeit gingen, die Wirtschaft um ihr Leben ackerte und das Stromsparen begann, scheint für die Werbeindustrie das vorläufige Aus eingetroffen zu sein. Man hat einfach nicht die Mittel, neue Werbespots und Kampagnen zu produzieren. F. sagte mir, dass die meisten schlicht auf alte Inhalte zurückgreifen, um eine gewisse Vielfalt zu bewahren.
Ansonsten ist das Leben wie gehabt. Es bebt immer noch regelmäßig, es stürmt, es flutet. Vor allem der Norden hat einfach keine Ruhe. Die Menschen dort haben es alles andere als einfach: nicht nur fehlen ihnen Wohngelegenheiten, auch an Geld mangelt es. Im eher ländlichen Gebiet um Fukushima besteht der Hauptertrag aus der Produktion und Ernte von Lebensmitteln. Beides ist kaum mehr möglich. Und wird lange Zeit unmöglich bleiben. Glück im Unglück: eine Hungersnot wird so schnell nicht eintreten. Es gibt genügend Nahrungsmittel, selbst wenn diese importiert werden müssen. Vielleicht nicht mehr in gewohntem Maße, aber besser, als nichts.
Die Stromsparmaßnahmen der Japaner sind lobenswert, wenn auch nicht zwangsläufig bahnbrechend: Bahnstationen werden nicht klimatisiert (vor einigen Monaten wäre das bei den Temperaturen dort undenkbar gewesen), es fahren ca. 20% weniger Züge, Aufzüge und Rolltreppen sind ausgeschaltet. Wenn ich an meine Zeit dort zurückdenke, kann ich mir kaum vorstellen, wie das aussehen soll. Wenn ich an die deutschen Bahnstationen denke, würden wir diese Veränderungen wohl kaum wahrnehmen. Für japanische Verhältnisse ist das wahrscheinlich ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Es gibt aber auch Dinge, die sich nicht geändert haben. "Konbinis" - conveneince stores - die dafür bekannt sind, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche geöffnet zu haben, bleiben auch weiterhin geöffnet. Mancher hier würde denken, das sei absurd, wo in Japan wirklich an jeder Ecke ein Konbini steht. Stromsparend ist das auch nicht gerade. Dennoch sind einige Gewohnheiten wohl nicht wegzudenken. Und so können sich die Menschen auch weiterhin Tag und Nacht darauf verlassen, dass sie jederzeit etwas besorgen können, wenn ihnen etwas fehlt. Vielleicht gibt es ihnen auch Sicherheit - es gibt auch immer einen Ort, an den man flüchten kann.
F. hat im Übrigen seinen Job gewechselt. Die Flaute in der Werbeindustrie schmälert nicht nur den Arbeitsumfang, sondern auch das Gehalt. Nun arbeitet er als "Salesman", also Vertreter und verkauft Internetverbindungen. Es ist weniger kreativ, mindestens doppelt so anstrengend - dafür arbeiten mit ihm viele Gleichaltrige und das Gehalt ist etwas besser und stabil. Es soll nicht immer so bleiben, doch eine Wahl hat er vorerst nicht.
Was den Atomausstieg in Japan angeht: man denkt darüber nach. Doch im Moment vergeht die Zeit sehr langsam. Jeden Tag geschieht irgendwo irgendetwas Kleines: doch man glaubt daran, dass all die kleinen Veränderungen irgendwann eine große Wirkung haben werden. Zur Zeit bleibt es aber nur abzuwarten, was als nächstes passiert. Wann die Lage in Fukushima endlich stabilisiert wird, wann die Menschen dort wieder zu leben anfangen können.
Eine Freundin von mir reist regelmäßig nach Miyagi und hilft dort bei Aufräumarbeiten. Die Bilder, die sie macht, sind faszinierend. Zwischen all den Trümmern, zerstreuten Haushaltsgegenständen, Ruinen und dem Müll stehen Menschen, die in die Kamera lächeln. Vor allem die Kinder. So sind sie, die Japaner. Stets lächeln sie. Ich sage auch immer, es ist besser zu lachen, als zu weinen. Denn es bedeutet, dass man noch nicht aufgegeben hat. Trotz all der Niederschläge geht das Leben weiter und ich hoffe, dass alles so schnell wie möglich wieder gut wird.